
Mittwoch, 19. Mai 2010
Lernen mit Interactive Fiction

Die Pädagogin Wiebke Schwelgengräber und der e-Learning-Spezialist Mario Donick vom Lehrstuhl für sprachliche Kommunikation und Kommunikationsstörungen der Uni Rostock stellten 2009 mit der Germanistin Franziska Schönfeld ein e-Learning-Projekt [PDF] für Gymnasien am Beispiel von Goethes »Wahlverwandschaften« vor, das in einer frühen Inform 7-Version entwickelt wurde und daher nahezu einsam die »Teach«-Sektion des Inform 7-Portals schmückt. Ein spielbares Resultat des Projekts ist nicht bekannt.
Dabei liegt die Idee nahe, Textadventures zum Lernen einzusetzen. An der Utah State University dient das Z-Code-Spiel Voices of Spoon River (2007) dazu, Edgar Lee Masters Lyrik aus seiner Spoon River Anthology spielerisch zu erkunden. Ebenfalls 2007 erreichte Joey Jones und Harry Giles The Chinese Room den fünften Platz auf der IF-Comp, obwohl oder gerade weil es ein Experiment in der Vermittlung philosophischer Denkrichtungen ähnlich Gaarders Bestseller Sophies Welt ist. Und in einem im selben Jahr erschienenen Ausflug am Wochenende nach München schlüpfen amerikanische Deutsch-Schüler in die Rolle der Austauschstudentin Karin Moller, die von Freiburg aus einen Trip nach München wagt und im Spiel Begleitmaterial zum Vokabular abrufen kann.
Sprachen lassen sich ohnehin durch die zahlreichen Übersetzungen spielend erlernen, wie dies ein Tschechisch-Blog jüngst entdeckte. Neben spanischen sind deutsche Übersetzungen besonders zahlreich, weil sie IF-Autoren häufig dazu dienen, Autorensysteme kennenzulernen oder Sprachmodule zu testen. So galten Toni Arnolds schweizerdeutsche Colossal Cave-Adaption Abenteuer und die Übersetzung von David Dytes Teddybärenparty-Abenteuer Ein Bär geht aus des Österreichers Gunther Schmidl (beide 1998) als Feuerprobe für frühe deutschsprachige Inform-Übersetzungen; Christian Blümkes Übersetzung des Adventure International-Klassikers Pirate Adventure (2004) bot eine Einarbeitung in das T.A.G.-Autorensystem von Martin Oehm und viele Bei-Spielchen wie Wilhelm Tell (2002), die Floyd-Taufe Das Gewand der Finsternis (2003) oder zuletzt Zebulons Testament (2008) existieren mehrsprachig als Beispiele für die Leistungsfähigkeit von Autorensystemen oder innerhalb von Tutorials.
Besonders beliebt waren in früheren Jahren geschichtliche Themen wie die bebilderte Erkundung der Chicagoer Weltausstellung 1893: A World's Fair Mystery (2002) von Peter Nepstad oder David Smiths frühes Eamon-Rollenspiel Hills of History (1985), seit 2008 pflegt Jeremiah McCall eine Tutorial-Plattform für »historische Simulationen« mit Inform 7, die sich nicht nur an Lehrer richtet. Nicht weniger beliebt waren Spiele wie Andrew Plotkins Lists and Lists (1996) oder William J. Shlaers Informatory (1998) und Inform School (1996), die in Programmiersprachen oder Autorensysteme einführen. Baf's Guide hält eine ganze Liste weiterer Beispiele auch aus Themen der Mathematik, Geografie oder Anatomie bereit und Emily Short stellte 2007 eine bis 2009 gepflegte Liste von Schul- und Hochschulkursen zusammen. Insgesamt scheinen englischsprachige Spiele zum Lernen seit 2007 in dem Maße seltener geworden zu sein, in dem sich Diskussionen [2] [3] über Interactive Fiction für Schulen verstärken.
In Deutschland stellte Andreas Schlenger im Juni 2008 die Ergebnisse eines Kölner Literaturkurses »Textadventures« für die 12. Klasse vor, die heute leider nicht mehr online sind. Wohl aber eine Einschätzung von Martin Oehm oder vielmehr dessen vernichtender Kritik, »die Schüler haben sich nicht mit bestehenden Textadventures auseinandergesetzt und bewerten lediglich die Texte, die als reiner Hypertext mehr oder weniger gut funktionieren.« Dies hat sich in Zeiten der 3D-Spiele und iPods sicher nicht geändert, dennoch finden sich immer wieder Textadventure-Schulprojekte wie das Python-Projekt Textadventure-Q11 (Januar 2010) oder das diesjährige Koblenzer Langnamen-Delphi-Projekt »Programmierung eines "Textadventure" als Einführung in die objektorientierte Programmierung in Delphi« für die Klassenstufen 12/13 im Internet.
Was im Internet nicht existiert, soll überhaupt nicht existieren: Von vielen kleineren Projekten wird hier und da und dort als Wettbewerbsvorschlag, Zeitvertreib oder Schulprojekt in Foren berichtet – es dürfte sich sehr viel mehr tun als Google ausspuckt. Warum Textadventures prädestiniert zum Lernen geeignet sind, erklärte der ehemalige Happy-Computer-Redakteur Anatol Locker jüngst seinen 14-jährigen Gamersglobal-Lesern in seinem Kommentar Neue Textadventures, bitte! – »Was auf dem Bildschirm konkret abgebildet wird, lässt keinen Raum für die eigene Phantasie.«